Wirtschaftsdemokratische Agenda zum Parteiprogramm 2010

von Adrian Zimmermann am 20. November 2012

Autor: Willy Spieler

Dieser Agenda-Entwurf zur Umsetzung der wirtschaftsdemokratischen Positionen des Parteiprogramms beruht auf einem Arbeitspapier, das ich für die Mitgliederversammlung des Oltener Arbeitskreises linker SozialdemokratInnen am 17. November 2012 verfasst habe. Er berücksichtigt die engagierte Diskussion des Arbeitskreises und soll anhand weiterer parteiinterner Meinungsäusserungen fortgeschrieben werden.
W. Sp.

1. Vorbemerkungen

1.1. Demokratischer Sozialismus

Die Vision des neuen Parteiprogramms (PP) heisst demokratischer Sozialismus. Dieser bedeutet mehr als Wirtschaftsdemokratie (WD): Überwindung aller Herrschaftsverhältnisse, nicht nur der ökonomischen, Demokratisierung aller demokratisierbaren Bereiche, Demokratie als Lebensform, Wiedervereinigung von Ökonomie und Ökologie, solidarische Ethik, neue Kultur, Pluralismus der Lebensentwürfe und Überzeugungen usw. Demokratischer Sozialismus unterliegt nicht dem Zwang eines festgelegten Begriffs oder Modells, sondern steht für eine regulative Idee, die nicht anders als in Annäherungen verwirklicht werden kann.

Der demokratische Sozialismus fehlte im PP-Entwurf der GL und auch wieder in der Kurzfassung der GL. In der verabschiedeten Kurzfassung ist er jedoch erneut Kerngehalt unserer Vision.

1.2. Verhältnis Parteiprogramm – Kurzfassung

Die Kurzfassung beruht auf einer Zusicherung der GL am Programmparteitag 2010. Der damalige Rückweisungsantrag wurde u.a. damit begründet, dass der PP-Entwurf zu lang und erst noch widersprüchlich geraten sei. Die GL konterte, dass sie bis zum Wahlparteitag 2011 (!) eine „widerspruchsfreie Kurzfassung“ vorlegen werde.

1.2.1. Widersprüchliches betr. KMU

Das PP sagt über die KMU, dass ihre Grösse deren Demokratisierung erleichtert (S. 49). Das Gegenteil ist der Fall. Die SP will das Eigentum des Gewerblers oder der Ladenbesitzerin nicht behandeln wie anonymes Produktionsmitteleigentum von AktionärInnen.

Die GL-Kurzfassung kippte ins andere Extrem mit dem Satz, die SP wolle (generell) „das Eigentum nicht abschaffen“. Wo Wirtschaft demokratisiert wird, gibt es Eigentum als private Verfügungsgewalt über Produktionsmittel nicht mehr.

Jetzt schafft das Kurzprogramm Klarheit mit der Formulierung: Die SP will das persönliche und das gewerbliche Eigentum nicht abschaffen.

Die Klarstellung ist auch für eine strategische Gegenhegemonie von Bedeutung, soll nicht das Gewerbe aus unbegründeten Sozialisierungsängsten ins Lager von Grosskapital und Hochfinanz getrieben werden.

1.2.2. Widersprüchliches betr. „vorsorgende Sozialpolitik“

Die Kurzfassung verzichtet auf den vorsorgenden Sozialstaat, der laut PP angeblich dafür vorsorgt, dass alle ein selbstbestimmtes und von Bevormundungen aller Art emanzipiertes Leben führen können (S. 23). Warum sollen wir den Kapitalismus wirtschaftsdemokratisch überwinden, wenn ein „von Bevormundungen aller Art (sic!) emanzipiertes Leben“ dank vorsorgender Sozialpolitik schon im real existierenden Arbeitsmarkt möglich ist? Dieser pseudosozial flankierte Neoliberalismus wird im Kurzprogramm nicht wiederholt. Übrigens fehlte dieses ursprüngliche Lieblingskind der GL selbst in ihrem eigenen Entwurf einer Kurzfassung.

1.3. Auslegeordnung

Es geht bei dieser Agenda zunächst um eine Auslegeordnung der Elemente einer WD im PP, gefolgt von Vorschlägen zur Umsetzung. In Klammern werden mögliche Träger der Umsetzung bezeichnet. Mit AG sind parteiinterne Gruppen gemeint, die auch ausserhalb offizieller Parteimandate gebildet werden, z.B. im Oltener Arbeitskreis, Flügelrad usw. Die AG’s werden nach Inhalten unterschieden, was nicht heisst, dass nicht auch Schnittstellen-AG‘s oder weitere bzw. andere AG’s sich als sinnvoll erweisen könnten. Denkbar wäre auch eine Ständige Kommission ‚Wirtschaftsdemokratie‘ der SP Schweiz, die sich mit den aufgeworfenen Fragen auf Bundesebene befassen würde. Andere Umsetzungsträger wie die Fraktion der Bundesversammlung oder die GL SP Schweiz werden namentlich bezeichnet.

Es geht vor allem darum, die WD nicht auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben und vom Tagesgeschäft abzuheben. Diesen Fehler machte die Parteileitung in ihrem 10-Punkte-Programm für die Wahlen 2011 oder in der vom Parteitag 2012 abgelehnten Kurzfassung des PP, wo beide Male die konkreten wirtschaftsdemokratischen Forderungen des PP keine Rolle spielten. Das PP will jedoch zu Recht die Demokratisierung der Wirtschaft […] als politischen Prozess verstehen und praktizieren, der im Hier und Heute ansetzt und den wir weiterentwickeln wollen (S. 16).

2. Genossenschaften

2.1. Genossenschaftsidee

Die Idee der Genossenschaft ist eng mit der Entstehung der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien in Europa verknüpft. Die Genossenschaft galt neben Partei und Gewerkschaft als dritte Säule der Arbeiterbewegung, wenn nicht als Königsweg zum Sozialismus. Vor allem die Produktivgenossenschaften sollten der Lohndrückerei des Kapitals ein Ende setzen, den Gegensatz zwischen Arbeitslohn und Unternehmensgewinn aufheben und den vollen Ertrag der Arbeit den Arbeitenden zukommen lassen. Die Genossenschaftsidee widerspiegelt sich denn auch in allen Programmen der SPS. Sie sei „die älteste Form der Wirtschaftsdemokratie“, und die SP unterstütze nach wie vor „die Anwendung echter genossenschaftlicher Grundsätze in allen Wirtschaftsgebieten“, heisst es selbst in dem als ‚revisionistisch‘ verschrienen Winterthurer Programm 1959.
Das PP 2010 hält, in dieser Tradition stehend, fest: Zur Demokratisierung der Wirtschaft trägt auch das Genossenschaftswesen bei, das wir ausbauen wollen. Die Genossenschaft bildet auf betrieblicher Ebene ein Gegenmodell zur Aktiengesellschaft (AG). Sie gründet auf dem demokratischen Grundsatz ‚ein Mensch – eine Stimme‘, während die AG auf dem kapitalistischen Grundsatz ‚ein Anteilschein – eine Stimme‘ basiert. Der genossenschaftliche Bereich der Volkswirtschaft ist ausbaufähig und geeignet, zur Demokratisierung der Wirtschaft beizutragen.

Das PP ist mit dieser Forderung gut geerdet, denn gerade in der Schweiz hat sich die Genossenschaftsidee durch eine lange Allmend-Tradition bewährt. Warum das so ist, zeigen die Studien von Elinor Ostrom, die dafür 2009 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sie widerlegen die neoliberale Mär von der „Tragik der Allmende“, wonach eine natürliche Ressource, zu der alle Zugang haben, zwangsläufig übernutzt oder zerstört wird. Die Schweiz ist heute sogar genossenschaftliche Weltspitze geworden. Rund zwei Drittel der Schweizer Haushalte sind Mitglieder bei Coop (2,5 Mio.) oder/und Migros (2 Mio.), die damit weltweit den zweiten und dritten Rang der genossenschaftlich verfassten Detailhandelsunternehmen belegen. Dank Mobiliar und Raiffeisenbank mit je 1,5 Mio. Mitgliedern nimmt die Schweiz auch bei den Versicherungs- und Bankgenossenschaften Spitzenplätze ein. Insgesamt gibt es hierzulande 13‘000 genossenschaftliche Betriebe mit rund 130‘000 Beschäftigten vorwiegend im landwirtschaftlichen und im Dienstleistungssektor, aber weit weniger im industriellen Bereich. Eine neue Dienstleistungsgenossenschaft ist Europas grösstes Car-Sharing-Unternehmen Mobility mit fast 90‘000 Kundinnen und Kunden.

Leider hat es die Partei versäumt, den Nobelpreis für Ostrom und das UNO-Jahr der Genossenschaften als Steilpässe für die WD zu nutzen.

2.3. Konsumgenossenschaften / Dienstleistungsgenossenschaften

Die Genossenschaftsform verbürgt noch keine Unternehmensdemokratie. Das zeigt sich gerade bei den Detailhandelsriesen Migros und Coop. Migros kennt zwar noch die Urabstimmung, beschränkt diese jedoch auf die Abnahme der Jahresrechnung. Die freie Wahl der Genossenschaftsräte wird mit bürokratischen Hürden verhindert.

Der Gesetzgeber müsste ‚Pseudogenossenschaften‘ einen Riegel schieben, in denen das aktive und passive Wahlrecht der Mitglieder zur ‚Farce‘ verkommt. Das verlangt auch das PP, indem es eine Revision des Genossenschaftsrechts verlangt, um die demokratische Transparenz bei Grossgenossenschaften zu gewährleisten (S. 17).

Schon gar nicht verbindet sich mit der Konsumgenossenschaft eine Genossenschaft der Beschäftigten. Deren Mitbestimmung ist rudimentär und wenig transparent, auch wenn eine Personalvertretung im Genossenschaftsrat einsitzt.

Diese Defizite müssten bedacht werden, wenn das PP anregt, Service public-Unternehmen wie die Swisscom in eine Genossenschaft umzuwandeln, an der sich möglichst viele Haushalte beteiligen könnten, wie das bei Coop oder Migros der Fall ist. Das wäre nämlich der Sinn des folgenden Programmpunktes: Genossenschaftlich können namentlich Unternehmen organisiert werden, die Dienstleistungen von existenzieller Bedeutung erbringen, wie Krankenversicherungen, Pensionskassen, Telekommunikation. (S. 17)

2.4. Wohnbaugenossenschaften

Wohnbaugenossenschaften sind ein Erfolgsmodell, sie bieten ihren Wohnraum in den Städten mindestens zwanzig Prozent günstiger an als die private Konkurrenz. Die Mieter/innen sind in den meisten Fällen Mitglieder der Genossenschaft und können so die Entwicklung ihrer Liegenschaft mitbestimmen. Sie geniessen einen weitreichenden Kündigungsschutz. Kurz, die Wohnbaugenossenschaften sind ein Antimodell zur kapitalistischen Verwertungslogik.

In der Schweiz gibt es 1700 Wohnbaugenossenschaften. Sie verwalten 165’000 Wohnungen und damit nur gerade 5 Prozent des gesamten Bestandes.

Wie weiter? Auf Bundesebene gibt es den Verfassungsauftrag zur Förderung des Wohnungsbaus (Wohnbauförderungsartikel 108 BV). Doch die bürgerliche Mehrheit favorisiert die Förderung von Privateigentum und Steuermodelle wie das Bausparen. Das PP setzt sich ein ehrgeiziges Ziel: Besonders zu fördern sind die Wohnbaugenossenschaften. Ihr Anteil am Wohnungsmarkt ist bis 2020 auf zehn Prozent zu verdoppeln. (S. 58)

Zu erinnern ist aber auch an die noch weit radikalere Vision des PP: Der Boden gehört ins Eigentum der öffentlichen Hand, von landwirtschaftlichen Genossenschaften, von gemeinnützigen Baugenossenschaften und von Selbstnutzern und -nutzerinnen. (S. 57)

2.5. Produktivgenossenschaften

Produktivgenossenschaften fristen in der Schweiz ein Schattendasein. Dabei waren gerade sie zur Überwindung des Gegensatzes von Lohnarbeit und Kapital gedacht. Als Ursachen des Scheiterns gelten interne Querelen, Gruppendruck und komplizierte Entscheidungsprozesse. Schwerer wiegen externe Ursachen: In Produktionssektoren mit starkem Wachstum, hohem Rationalisierungspotenzial und grossem Kapitalbedarf dominieren Aktiengesellschaften; umgekehrt leiden Produktivgenossenschaften oft an chronischer Unterkapitalisierung, was Investitionen erschwert.
Wie können Produktivgenossenschaften ihren Kapitalbedarf bei grösseren Investitionen decken? Diskutiert wird zum Beispiel die gesetzliche Möglichkeit von stimmrechtslosen, aber handelbaren Partizipationsscheinen. Ein festes Partizipationskapital wäre jedenfalls das kleinere Übel gegenüber dem Wechsel bisheriger Genossenschaften zur AG, wie das bei der Rentenanstalt, dem Studentenreisedienst oder der SADA Gebäudetechnik der Fall war.

Auch das PP will den Genossenschaften über eine Gesetzesrevision die Finanzierung erleichtern (S. 17). Darüber hinaus schlägt es einen staatlichen KMU-Fonds vor. Dieser soll Betriebe aufkaufen, die keine Nachfolge finden, und sie in Genossenschaften umwandeln (S. 17).
Dass Produktivgenossenschaften nicht nur im KMU-Bereich möglich sind, sondern auch in Grossunternehmen, ja Konzernen, zeigt die Kooperative Mondragón im spanischen Baskenland mit 240 angeschlossenen Unternehmen vom Hightech-Bereich bis zur Detailhandelskette Eroski.

Vorschläge

  • Zum Ende des UNO-Jahres der Genossenschaften ist eine Bestandesaufnahme über die Genossenschaften in der Schweiz fällig; dabei sind die bereits vorhandenen Vorschläge für eine Revision des Genossenschaftsrechts im Sinne der PP-Kompatibilität zu evaluieren (AG Genossenschaften).
  • Transparenzvorschriften im Genossenschaftsrecht sollen die Demokratisierung pseudodemokratischer Genossenschaften ermöglichen (AG Genossenschaften).
  • Die genossenschaftliche Rechtsform für Dienstleistungen von existenzieller Bedeutung, wie Krankenversicherungen, Pensionskassen, Telekommunikation ist zu prüfen (AG Genossenschaften).
  • Produktivgenossenschaften sind zu fördern durch a) erleichterte Finanzierung b) KMU-Fonds für Betriebe, die keine Nachfolge finden, und ihre Umwandlung in Genossenschaften (Fraktion)
  • Förderung der Wohnbaugenossenschaften. Ihr Anteil am Wohnungsmarkt ist bis 2020 auf zehn Prozent zu verdoppeln (Fraktion).

3. Service public

3.1. Partizipative Autonomie

Wenn das PP sagt, der Service public sei schon unter demokratischer Kontrolle (21), dann stimmt das nur bedingt. Es stimmt vor allem nicht in Bezug auf das Innenverhältnis, da den Beschäftigten keine Mitbestimmungsrechte zukommen. Es fehlt die Unternehmensdemokratie.
Fragezeichen sind auch angebracht, wenn das PP behauptet: Mit dem Service public gibt es in der Volkswirtschaft Bereiche und Betriebe, die ausserhalb der kapitalistischen Logik angesiedelt sind (S. 17). Unter der neoliberalen Hegemonie wurden immer mehr staatliche Unternehmen verselbständigt, mit der mehr oder weniger versteckten Agenda, sie längerfristig zu privatisieren. Von SBB und Swisscom bis zu den Universitäten und öffentlichen Spitälern sind neue Leitungshierarchien entstanden, die nach kapitalistischer Logik funktionieren, sich auf den sog. ‚Markt’ ausrichten und, wenn dieser fehlt, auf einen fiktiven Markt, genannt Benchmark, ausweichen. Die Beschäftigten haben weniger denn je zu sagen.

Die Unruhe des Pflegepersonals öffentlicher Spitäler bringt solche Mitbestimmungsdefizite an den Tag. Warum soll es seine Vertretung in der Spitaldirektion nicht selber wählen können? Was spricht gegen sein Mitbestimmungsrecht bei der Umsetzung von politischen Direktiven? Warum soll das Personal unsinnige Sparvorgaben nicht durch ein Veto aussetzen und einer Schiedskommission unterbreiten können, wenn in Regierung und Parlament bürgerliche Mehrheiten verrücktspielen?

Zur Mitbestimmung im Service public schreibt das PP leider noch etwas zögerlich: Neben der öffentlichen Hand sollen auch die Arbeitnehmenden und die Konsumenten und Konsumentinnen in die tatsächliche Entscheidungsfindung eingebunden werden. (S. 51)

[Ich hatte am Programmparteitag den Antrag gestellt: „Der Service public ist erst dann wirtschaftsdemokratisch verfasst, wenn nicht nur die Vorgaben des Staates auf demokratischem Weg zustande kommen, sondern wenn auch die hier Beschäftigten über die Ausführung dieser Vorgaben mitbestimmen können.“ Die GL hatte in ihrem Antragsheft ‚modifizierte Annahme‘ beantragt, aber selber Vorbehalte angemeldet. Zitat: „Bei diesem Antrag geht es um eine sehr grundsätzliche Frage. Heute bestimmt das Parlament über die Strategie und die Rahmenbedingungen des Service public (Post, SBB, RUAG etc.). A-101 (der Antrag – W.Sp.) verlangt nun, dass die gewählten Volksvertreterinnen in diesem Bereich zumindest teilweise entmachtet werden, weil die Demokratisierung der Wirtschaft sich auch auf die Betriebe des Service public bezieht und in diesen nicht allein die politisch Gewählten, sondern auch die dort Beschäftigten mitentscheiden sollen. Die Geschäftsleitung unterstützt selbstverständlich eine möglichst weitgehende Mitsprache und Mitbestimmung in den Betrieben des Service public. Auch teilt sie die in der Begründung vertretene Auffassung, dass in diesem Bereich heute grosse Defizite vorhanden sind, welche dringend geschlossen werden müssen.“ Nach diesem wohlwollend formulierten Missverständnis verweist die GL noch auf einen anderen Antrag, wonach „in einer Wirtschaftsdemokratie neben der Belegschaft auch die öffentliche Hand und die KonsumentInnen in die tatsächliche Entscheidungsfindung eingebunden werden sollen.“ii Es besteht also noch einiger Diskussionsbedarf über die Kompetenzaufteilung einerseits zwischen Politik und mehr oder weniger verselbständigten öffentlichen Unternehmen, anderseits in den Unternehmen selbst zwischen den neuen CEOs und den Beschäftigten sowie weiteren Stakeholdern.]

Zweimal wird das PP betr. Mitbestimmung im Service public etwas konkreter:
Im Abschnitt Eine für alle zugängliche, qualitativ gute Gesundheitsversorgung werden (indirekte oder delegierte) Mitbestimmungsrechte der Patientinnen erwähnt: Patientinnen und Patienten sind überall in die Entscheidungsfindung und Meinungsbildung einzubeziehen, wo es um Fragen der Gesundheit, der Verhütung von Krankheiten, der Therapie und Pflege von Kranken und um die klinische Forschung geht, Dazu empfiehlt sich sowohl auf institutioneller Ebene als auch mit Blick auf die individuelle Lage von Betroffenen das Modell der ‚delegierten Mitbestimmung. (S. 29)

Von besonderer Bedeutung ist für das PP aber auch die Mitbestimmung im Bereich des Lehrens und Lernens: Das Prinzip Demokratie muss in der ganzen Gesellschaft wegweisend werden […], in angemessener Weise auch in den Schulen, wo Demokratie gelernt und eingeübt werden soll. (S. 35)

Der Staat müsste die Autonomie der öffentlichen Unternehmen generell als partizipative Autonomie ausgestalten. Die SP wäre gut beraten, im Service public, wo ihr Einfluss am grössten ist, insbesondere in den Städten, mit der Wirtschafts- bzw. Unternehmensdemokratie voranzugehen. Überhaupt müsste sich der Vorbildcharakter (S. 50) des Staates im Verhältnis zu seinen Beschäftigten auch auf deren Mitbestimmung erstrecken, im Schulbereich auch auf die stufengerechte Mitbestimmung der Lernenden.

Die Einhaltung der Partizipationsrechte wäre bei der Erteilung von Leistungsaufträgen an private Unternehmen nicht weniger zu beachten. Darüber hinaus könnte der wirtschaftsdemokratisierende Staat (S. 17) in seinen Funktionen als Eigentümer von Unternehmen, Grosskunde und Wirtschaftsförderer aktiv zur Verbreitung demokratischer Strukturen in privaten Unternehmen beitragen.

3.2. Verstaatlichungen

Noch offen sind die „bestimmten Bereiche“, die das PP von privaten Kapitalgesellschaften in staatliches Eigentum als eine taugliche, allenfalls notwendige Form von Wirtschaftsdemokratie überführen möchte. Genannt werden die Krankenkassen (S. 19). Sie sind dank der Initiative für eine Einheitskasse bereits unterwegs. Müsste nicht auch das Kreditwesen als Service public verfasst werden?

3.3. Antrag Pestoni

Das PP enthält noch eine Forderung, die nur ernst genommen werden kann, wenn die Fraktion sie sofort umzusetzen versucht: Telekommunikation, Post und Eisenbahnen sollen erneut der direkten Kontrolle des Bundes unterstellt werden, und zwar über strategische Grundsätze hinaus auch operativ (50). Graziano Pestoni, der erfolgreiche Antragsteller am Parteitag 2010, wollte die Forderung auch in die Kurzfassung aufnehmen, was vom Parteitag abgelehnt wurde. Der Zug für den Status quo ante ist wohl endgültig abgefahren, erst Recht nach dem Rückzug der Volksinitiative ‚Für eine starke Post‘. Die genehmigte Kurzfassung hat mangels Realisierbarkeit ebenfalls auf die Wiederholung dieser Forderung verzichtet.

Vorschläge

  • Erarbeitung von Modellen für die innere (unternehmensdemokratische) Demokratisierung des Service public in Bund, Kantonen und Gemeinden bzw. in den verschiedenen Bereichen von öffentlichem Verkehr, Spitälern, Schulen und Universitäten usw.) (AG‘s für die verschiedenen Ebenen oder/und Bereiche)
  • Welche Bereiche gehören neu zum Service public? (AG‘s gemäss den zu sozialisierenden Bereichen)
  • Wenn überhaupt, dann unverzügliche Umsetzung des Programmpunktes betr. Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, die erneut der direkten Kontrolle des Bundes unterstellt werden sollen, und zwar über strategische Grundsätze hinaus auch operativ (Fraktion).

4. Mitbestimmung

4.1. Aktualität der Forderung

Das PP verlangt die Mitbestimmung der Belegschaften vom Arbeitsplatz über den Betrieb bis zur Unternehmensebene. Weiter heisst es: Wir sehen es als unsere Aufgabe und diejenige der Gewerkschaften an, in den grossen Unternehmen für eine wenigstens gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeit mit dem Kapital und auch in den übrigen Bereichen der Wirtschaft für mehr Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten zu kämpfen. (S. 17)

Diese Mitbestimmung wäre aktueller denn je. Was fehlt, ist das Bewusstsein ihrer Notwendigkeit. Es müsste bei jeder Massenentlassung aus reinen Profitgründen daran erinnert werden. Ich denke aktuell an Lonza. Auch die exzessiven Managerlöhne liessen sich zurückfahren, wenn die Verwaltungsräte und ihre Vergütungsausschüsse wenigstens paritätisch zusammengesetzt wären. Stattdessen hinken wir via Abzockerinitiative der ‚Aktionärsdemokratie‘ hinterher, die mit unseren Vorstellungen von WD wenig zu tun hat und weit mehr eine Plutokratie ist. Die deutsche Mitbestimmung in den (unterparitätischen) Aufsichts- und Vergütungsgremien zeigt, dass Joe Ackermann bei der Deutschen Bank zwar immer noch zu viel erhielt, aber doch etwa 7mal weniger als Brady Dougan von CS.

Wie weiter? Die Frage müsste mit den Gewerkschaften erörtert werden. An eine Volksinitiative ist im Moment nicht zu denken. Warum nicht Mitbestimmung in GAV-Verhandlungen thematisieren? Auch Pensionskassen könnten Vertretungen von Arbeitnehmerseite für Verwaltungsräte portieren, am besten auf Vorschlag der Belegschaften selbst. Wir sprechen zu Recht von Frauenquoten, warum nicht auch von Quoten für das Personal?

4.2. Mitarbeitergesellschaft

Weiter geht das PP mit der von Ota Šik im ‚Prager Fühling’ 1968 konzipierten Mitarbeitergesellschaft. Nach diesem Modell wird eine gesetzlich festgelegte Quote der Betriebsgewinne der Belegschaft als Kollektiveigentum gutgeschrieben und neutralisiert. Sobald die Belegschaft mit ihrem Kapitalanteil eine Mehrheitsposition erreicht, übernimmt sie die Befugnisse der bisherigen Aktionärsversammlung.

Das PP lässt offen, ob die Demokratisierung der grösseren Unternehmungen über die Mitbestimmung oder über die weitergehende Mitarbeitergesellschaft erfolgen soll. Die Frage wurde in der SP nicht einmal diskutiert, obschon sich die beiden Modelle in den Grossunternehmen, für die sich gedacht sind, ausschliessen. Wirtschaftsdemokratisch wäre die Mitarbeitergesellschaft der blossen Mitbestimmung natürlich vorzuziehen.

Vorschläge

  • Aussprache mit Gewerkschaften über neue Anläufe für die Mitbestimmung (GL).
  • Vertiefte Auseinandersetzung mit Mitbestimmung und Mitarbeitergesellschaft (AG Mitbestimmung).

5. Pensionskassen (PK)

Gemäss PP sind die PK ein weiteres Instrument, um die Demokratisierung der Wirtschaft voranzubringen. Dank Parität in Stiftungsräten verfügten die Arbeitnehmenden über ein bisher noch nie dagewesenes wirtschaftliches Machtpotenzial, könnten sie sich doch mittels Beteiligung am Aktienkapital Einfluss auf die strategischen Entscheidungen von Unternehmen verschaffen (S. 18). Dazu schon fast im Widerspruch heisst es: In der Altersvorsorge soll das Gewicht von den Pensionskassen auf die AHV verlagert werden, damit diese endlich das Verfassungsziel erreicht, den Existenzbedarf im Alter angemessen zu decken. (S. 25)

Nicht analysiert werden die ‚goldenen Fesseln‘ der Aktienmärkte als eines ‚dritten Beitragszahlers‘, wenn nicht der Geiselnahme der Arbeit durch das Kapital, das mit den rentenabhängigen Lohnabhängigen Schicksal spielt.

Warum nicht die angesparten Gelder der Zweiten Säule ganz oder teilweise in den ökologischen Umbau der Wirtschaft einbringen und hier erst noch krisenresistent anlegen? Immerhin fordert das Programm gesetzliche Verpflichtungen, damit solche Kapitalien nur in sozial verantwortungsvolle und ökologisch nachhaltige Unternehmen investiert werden. Darüber hinaus sieht es einen Industriefonds vor, der, ausgestattet mit den Kapitalien der Sozialversicherungen […], für den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft und deren Demokratisierung sorgt und zur Finanzierung von Unternehmen des Service public und öffentlicher Infrastrukturaufgaben herangezogen werden kann (S. 18).

Wer entscheidet über diesen Industriefonds, seine Aufgaben, seine Zusammensetzung, seine (parlamentarische?) Kontrolle?

Vorschläge

  • Für die Zukunft der PK sind einerseits ihre Anlagestrategie sowie ihre Abstimmungs- und Wahlpolitik an Generalversammlungen, anderseits ihre Verlagerung auf die AHV zu studieren (AG PK).
  • Zu klären sind die Fragen rund um den Industriefonds für den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft und deren Demokratisierung (AG PK und AG ökologischer Umbau).

6. Internationale Ebene

Mit den wirtschaftsdemokratischen Vorschlägen des SP-Programms wäre der sich globalisierende Kapitalismus noch lange nicht überwunden. Das Programm plädiert daher für die Demokratisierung der Wirtschaft auch auf internationaler Ebene. Erwähnt seien: staatliche Regulation bestimmter Kernmärkte; Bereitstellung öffentlicher Güter durch die Errichtung eines transnationalen Service public statt transnationale Privatisierungen; Demokratisierung internationaler staatlicher Behörden mit Zuständigkeiten in der Wirtschaftssteuerung (WTO, IWF, Weltbank, ILO) und Stärkung des Wirtschafts- und Sozialrats innerhalb der UNO. (S. 18) Die SP will sodann transnational tätige Unternehmen demokratisieren und sowohl auf Unternehmens- als auch Branchenebene Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten durchsetzen (S. 18). Das alles ist noch wenig ausgereift und noch weniger (welt-)politisch umsetzbar.

Vorschlag

  • Demokratisierung der globalen Wirtschaft ist in Zusammenarbeit mit NGOs wie Attac oder EvB vertieft zu studieren (AG Globalisierung).

7. Wirtschaftsdemokratie in der Dialektik von Ökologie und Ökonomie

Die SP plant den ökologischen Umbau der Wirtschaft“ bis hin zum „geschlossenen Kreislauf […], in dem die vermeintlichen Abfallstoffe die Ausgangsstoffe neuer Produktionszyklen sind (S. 22). Für eine konsequente Klimapolitik ist unerlässlich, den Energieverbrauch pro Person auf einen Drittel, also 2000 Watt, und den CO2-Ausstoss um rund 80 Prozent, auf maximal eine Tonne pro Person und Jahr, zu senken (S. 54). Dazu gehört auch die Internalisierung der externen Kosten (S. 54). Die Cleantech-Initiative soll 100’000 neue Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien schaffen.

Für die Überwindung des fossilen Kapitalismus durch eine nachhaltige Wirtschaft müsste die Wirtschaftsdemokratie zum Zuge kommen. Aber wie? Der Programmparteitag hat meinen Antrag auf Einführung eines vom Volk zu wählenden Wirtschafts- und Sozialrates abgelehnt, sodass offen bleibt, welches andere Organ den Grundauftrag erhalten soll, die Weichen für die ‚Zukunftswirtschaft’ zu stellen.

Schnittstellen von Ökologie und WD im PP wären

  • der unter 5 erwähnte Industriefonds, ausgestattet mit Kapitalien der Sozialversicherungen für den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft und deren Demokratisierung
  • die unter 5 erwähnte Verpflichtung der Pensionskassen, ihr Kapitalien nur in sozial verantwortungsvolle und ökologisch nachhaltige Unternehmen zu investieren
  • der zusätzliche Auftrag an die Kantonalbanken und die Genossenschaftsbanken, sie sollten bei der Unterstützung der lokalen Wirtschaft und dem sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen (S. 50).

Vorschlag

  • Die sozial-ökologische WD (gemäss PP-Titel) ist hinsichtlich Schnittstellen und Unverzichtbarkeit demokratischer Prozesse für die Befreiung aus Wachstumszwängen und für nachhaltiges Wirtschaften vertieft zu studieren (AG PK und AG ökologischer Umbau).

8. Care-Ökonomie und Grundeinkommen

Wirtschaftsdemokratie im PP ist immer Erwerbswirtschaftsdemokratie. Arbeit ist aber nicht nur eine bezahlte Tätigkeit, Grundlage der Erwerbsökonomie ist im Gegenteil die unbezahlte Arbeit, insbesondere die Care-Ökonomie oder die umfassendere Lebensweltwirtschaft, die auch Gemeinwesenarbeit, Vereins- und Parteiarbeit usw. umfasst.

Nur schon die unbezahlte Care-Ökonomie hat ein Arbeitsvolumen, das grösser ist als der Rest der sogenannten ‚Wirtschaft’. Wer sich ausschliesslich in Care-Ökonomie oder Lebensweltwirtschaft engagiert, bleibt von der Wirtschaftsdemokratie ausgeschlossen und leistet dennoch eine sinnvolle, ja unverzichtbare Arbeit, ist also nicht weniger Wirtschaftsbürgerin oder Wirtschaftsbürger.

In diesen Zusammenhang gehört die Forderung nach einer garantierten Existenzsicherung für alle, die aus irgendwelchen Gründen keine Erwerbsarbeit leisten können oder wollen. So fordert das PP: Subsidiär zur allgemeinen Erwerbsversicherung und zum existenzsichernden Mindestlohn soll eine garantierte Grundsicherung dafür sorgen, dass auch jene ein würdiges Leben führen können, die keine traditionelle Erwerbsarbeit leisten. (S. 26)

[Diese Grundsicherung unterläuft schon im PP den vorsorgenden Sozialstaat‘, denn sie könnte Erwerbslose gerade vom Zwang befreien, sich für den Arbeitsmarkt qualifizieren, ‚lohnabhängig‘ arbeiten zu müssen. Da bedarfsabhängig, unterscheidet sie sich aber vom ‚bedingungslosen Grundeinkommen’, als das der Parteitagsentscheid kolportiert wurde.]

Vorschlag

  • Mindestlöhne, allgemeine Erwerbsversicherung und Grundsicherung sind möglichst aufeinander abgestimmt einzuführen (Kommission für Sozialpolitik der SPS).

9. Vorgehen

9.1. Programmumsetzungskommission

Aus der Begründung der Rückweisungsantrags am Programmparteitag 2010 hat die GL „das Anliegen“ aufgegriffen, „die Aktualität und die Umsetzung der Programmpunkte periodisch durch die Parteigremien überprüfen zu lassen und für die Programmverträglichkeit von Aktions- und Legislaturprogrammen und weiteren Positionspapieren der Partei besorgt zu sein. Namentlich wird die GL regelmässig – beispielsweise jeweils an den ordentlichen Parteitagen – Rechenschaft über die Umsetzung des Parteiprogramms vorlegen und die nächsten Schritte zu dessen Konkretisierung und Umsetzung definieren. Eine erste solche Überprüfung soll sicher (sic!) am nächsten ordentlichen Parteitag 2012 stattfinden.“iii

Vor dem Parteitag 2010 hiess es, die SP brauche vor den Wahlen unbedingt das neue Parteiprogramm. Nach seiner Verabschiedung, gefolgt eon einer medialen Kakophonie, wurde das PP heruntergespielt, damit es der Partei bei den Wahlen ja nicht schade. (Immerhin hat das PP der SP bei kantonalen Parlamentswahlen überall dort genützt, wo es offensiv vertreten wurde.)

Vorschlag:

  • Einsetzung einer ‚PUK‘ (Programm-Umsetzungs-Kommission), die den Parteigremien Bericht erstattet. Sie kann durch die Parteileitung, allenfalls auch durch Parteitag oder DV gebildet werden.iv

9.2. Neues 10-Punkte-Programm

Die GL stellte am Programmparteitag auch in Aussicht, dass die versprochene Kurzfassung am Wahlparteitag 2011 „von einem 10-Punkte-Programm zur Umsetzung begleitet sein“ werde.v Ein 10-Punkte-Programm wurde allerdings verabschiedet, aber ohne jeden Bezug zum PP, schon gar nicht zu seinen wirtschaftsdemokratischen Forderungen.

Vorschlag:

  • Der nächste ordentliche Parteitag verabschiedet ein 10-Punkte-Programm zur Umsetzung des Parteiprogramms. Die erwähnten möglichen Träger der Umsetzung leisten dazu die Vorarbeit.

9.3. Bildungsarbeit

Noch immer gilt Art. 24 Ziff. 7 der Parteistatuten: „Mindestens ein Zehntel der Finanzmittel der Partei wird für die politische Bildungsarbeit eingesetzt.“

Vorschlag:

  • Ein besonderer Teil der SP-Bildungsarbeit konzentriert sich auf die Grundwerte, Visionen und Vorschläge des PP für die WD. Mittel dazu sind Broschüren, Diskussionsforen, Seminare, öffentliche Veranstaltungen.

Zürich, 20. November 2012

Willy Spieler

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