«Des Spiessers Angst» (Peter Bratschi, November 1918)

von Adrian Zimmermann am 4. Januar 2018

Zu den Auslösern und dem Verlauf des Landesstreiks vom November 1918 schrieb der Redaktor der Schweizerischen Metallarbeiter-Zeitung und bekannte Arbeiterdichter Peter Bratschi (1886-1975) ein Gedicht. Es charakterisiert die damalige Haltung der schweizerischen Grossbourgeoisie und ihres kleinbürgerlich-grossbäuerlichen Anhangs sehr anschaulich.

Wie die am 2. Januar 2018 gehaltene unqualifizierte Rede eines bekannten Herrliberger Villenbesitzers über Robert Grimm gezeigt hat, blicken besonders rückständige Elemente aus den herrschenden und besitzenden Kreisen noch 99 Jahre später mit derselben Haltung auf die damaligen Ereignisse zurück.

Auch wenn es nicht so schnell gegangen ist, wie damals viele hofften: Die grossen seither erkämpften Errungenschaften zeigen doch, dass wir bald 100 Jahre später zuversichtlich bleiben können, dass Peter Bratschi auch mit dem letzten Satz seines Gedichts schliesslich Recht behalten wird!

 

Des Spiessers Angst.

(Zur Erinnerung an den Landesstreik am 12. und 13. November 1918.) (1)

 

In Zürichs Katakomben,

Hiess es, da wären Bomben

Und überall im Lande schon

Sah man die Revolution.

Der Bundesrat in seiner Not

Erliess ein Truppenaufgebot.

Das war zur Stunde in der Tat

Aufs Volk das grösste Attentat.

Die Züricher Regierung,

Voll Angst, bar aller Zierung,

Verfolgt von einem bösen Stern,

Sie flüchtet sich in die Kasern‘. –

Mit militär’scher Ehrung

Folgt dort die Darmentleerung. –

Und auch der Spiesser feige Schar

Und alle Hamster sah’n Gefahr.

Schnell holt man Geld noch auf der Bank

Und schliesst es sorgsam in den Schrank.

Erst unter der Soldaten Hut

Bekommen sie nun wieder Mut:

«Der Bundesrat soll leben!

Er hat uns Schutz gegeben.

Nun, tapfere Soldaten,

Zeigt eure Heldentaten.

Jetzt dürft ihr keinen schonen!

Gebt ihnen blaue Bohnen!

Schlagt nieder die Rebellenbrut

Ersäuft das Lumpenpack im Blut!

Die Kosten wird man allzumalen

Mit indirekten Steuern zahlen.»

So quietschen sie nach Noten,

Die mut’gen Patrioten.

Mit Knöpfen in den Zungen

Und ausgeheulten Lungen

Erlebten endlich sie den «Sieg»

So hat der schlimme «Bürgerkrieg»

Gar manchem Qual beschieden

Und auch Hämorrhoiden. –

Und dieser Sieg gefoppter Bauern

Mag eine Weile dauern.

Doch der Ideen Siegeslauf,

Den halten keine Knüppel auf,

Vor unsres Geistes Bajonetten

Kann sich kein Spiesser retten.

Kein Pulver hilft da und kein Blei,

Noch schimmernd Gold, noch Klerisei.

Einst wird auf feur’gen Sohlen

Sie doch der Teufel holen. P.B.

 

Peter Bratschi: «Des Spiessers Angst (Zur Erinnerung an den Landesstreik vom 12. und 13. November 1918)», in: Schweizerische Metallarbeiter-Zeitung 17 (23.11.1918).

Peter Bratschi (1886-1975), Mechaniker, Redaktor, Arbeiterdichter (Schweizerisches Sozialarchiv, Fotoarchiv SMUV)

(1) Der Landesstreik dauerte bekanntlich vom 12. November 1918 (0.00 Uhr) bis am 14. November  1918 (23.59 Uhr). Die fehlerhafte Datierung findet sich indess schon im Originaltitel des Gedichts, weshalb wir sie hier so belassen. Vielleicht könnte sie auch daraufhinweisen, dass Bratschi das Gedicht unmittelbar nach dem Beschluss zum Streikabbruch in der Nacht vom 13. auf den 14. November 1918 verfasste.

Kommentare sind geschlossen.